Carl Strehlow

und die Kultur der Ureinwohner

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Mit 24 Jahren im Jahre 1894 kam der deutsche Missionar Carl Strehlow aus seiner pommerschen Heimat auf die damals menschenleere und hoffnungslos verwilderte Missionsstation Hermannsburg nach Zentralaustralien. Die Missionsstation wurde dank seiner Bemühungen so anziehend, dass eine große Zahl von Schwarzen aus allen Stämmen Zentralaustraliens freiwillig kamen, teilweise um Schutz vor den Übergriffen der Farmer und Polizisten zu finden, teilweise auch, weil sie das Zusammenleben in einer christlichen Gemeinschaft schätzten.

 

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Sie nannten Hermannsburg „Heaven of refugees" (Himmel der Flüchtlinge), weil sie hier vor den größten Schäden der Kolonisierung und vor der sicheren Ausrottung geschützt lebten.

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"WÜSTENTANZ" beschreibt nicht nur den Traum eines einzigartigen Wüstenvolkes, sondern den der ganzen Menschheit

Als Strehlow die Sprache und sogar die Geheimsprache der Eingeborenen gelernt hatte, machte er eine ungeheuerliche Entdeckung: Die so genannten „wilden Steinzeitmenschen" waren keinesfalls (eine wilde Horde ohne Tradition, sondern verfügten ganz im Gegenteil über eine jahrtausend alte

Kultur, die bis zum Beginn der Schöpfung zurückreichte. Da er ahnte, dass diese weltweit einmalige Kultur durch die Bedrohung unserer Zivilisation kurz vor ihrem Untergang stand, widmete er jede freie Stunde dem Zuhören und Aufschreiben der uralten mündlich überlieferten Mythen, Sagen und Märchen. Durch seine unermüdliche Arbeit fand eine Art „Kulturaustausch" zwischen zwei Welten statt, wie es ihresgleichen noch nie gegeben hatte. In einer Art kultureller Metamorphose hatte Carl Strehlow den schwarzen Ureinwohnern die frohe Botschaft von Jesus Christus erzählt und als Dank dafür bekam er von ihnen die Geheimzeremonien, den spirituellen Kulturschatz Australiens.

Nach dem Willen der Medizinmänner und Zeremonienmeister sollte er alles aufschreiben und für eine andere Zeit aufbewahren, die mehr Verständnis für diese einmalige Kultur hatte.

Die Missionsstation Hermannsburg wurde dank der Bemühungen Carl Strehlows so anziehend, dass eine große Zahl von Menschen aus allen Stämmen Zentralaustraliens freiwillig nach Hermannsburg kam, teilweise, um Schutz vor den Übergriffen der Farmer und Polizisten zu finden, teilweise auch, weil sie das Zusammenleben in einer christlichen Gemeinschaft schätzten. Sie nannten Hermannsburg „Heaven of refugees" (Himmel der Flüchtlinge). Im Jahre 1921 lebten 271 Ureinwohner auf der Station, davon 179 ständige Bewohner und 68 Gäste, darunter 50 Kinder, die Bibelunterricht erhielten, und 30 Kinder, die auf die Taufe vorbereitet wurden.

Carl Strehlow empfand Zuneigung und Respekt für seine schwarzen Mitbrüder, mit denen er 28 Jahre hautnah zusammenarbeitete und lebte. Sie sahen in ihm einen großen Freund und Helfer in ihren täglichen Nöten und Sorgen, so dass ihm auch die Stammeshäuptlinge ihre berühmten Zeremonien und Mythen anvertrauten. Bereits auf den ersten Seiten seiner Veröffentlichung über die Aranda und Loritja-Stämme Zentralaustraliens sehen wir ein Bild seiner vier Informanten, mit denen er zusammenarbeitete.

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Von links nach rechts:

LOATJIRA:

1846 geboren. Sein Geburtsort war 2 km stromabwärts vom Finke-River. Er war der letzte große Medizinmann der Arandas, der die größte Autorität unter ihnen besaß. Erst als alter Mann wurde er 1923 getauft.

PMALA:

Sein Geburtsort war in Ndata, nordwestlich von Japalpa, ein vollinitiierter Westaranda. Er ließ sich im Alter von 40 Jahren (1900) taufen.

TJALKABOTA:

Ein Aranda-Häuptling aus der Gegend von Hermannsburg, geboren 1873.

TALKU:

Ein Loritja-Häuptling aus Wapiti, dessen persönliches Totem der Yam-Totem war. Er war der Zeremonienmeister der Loritjas im Zentrum der Merini (1867 geboren); er zählte zu den größten Autoritäten seines Stammes. Eine Polizeikugel traf ihn am Hüftknochen, ohne ihn zu töten. Einer seiner Männer trug in 25 Meilen auf dem Rücken nach Hermannsburg, wo er von Carl Strehlow wieder gesund gepflegt wurde. Er zeigte seine große Dankbarkeit, indem er ihn mit seinem gesamten Zeremonienschatz beschenkte, worauf er dann wieder in der Wüste verschwand.

Seine Tochter Kalinka ließ sich von Carl Strehlow taufen, nahm den Namen Rubina an und wurde die Frau von Albert Namatjira, dem berühmten Aquarellisten Zentralaustraliens.

Mit Hilfe seiner Informanten erhielt Strehlow im Gegensatz zu den Anthropologen Spencer und Gillen Informationen aus erster Hand, wobei er nicht nur die Aranda-Sprache, sondern auch ihre Geheimsprache lernte, um die geheimnisvolle Mythologie Australiens zu entschlüsseln, die in den Köpfen der alten Aborigines eingeschlossen war. So war es ihm möglich, die größte und vollständigste Anthropologie Australiens zu verfassen, die in umfassender Weise die religiösen, soziologischen und ökologischen Traditionen der Aborigines in Aranda mit deutscher Übersetzung darstellt.

In deutscher Sprache wurde das Werk vom Städtischen Völkermuseum in Frankfurt am Main von zwei der besten deutschen Anthropologen, Moritz Freiherr von Leonhardi und Dr. Bernhard Hagen, herausgegeben (die Arnada- und Loritja-Stämme in Zentralaustralien, 7 Bände) (1). Die Anthropologie weckte das gesamte Interesse der damaligen Anthropologen für das Kulturleben der Ureinwohner, und es ist unverständlich, dass dieses Standwerk , obwohl in die englische Sprache übersetzt, bis heute noch nicht in Australien erschienen ist.

Die Arandas verliehen Carl Strehlow für seine bedeutenden Arbeiten aus Dankbarkeit den Titel „Großer INGKATA", d.h. „Großer Stammesvater", und seiner Frau Frieda den Titel „Große Stammesmutter"; die beiden werden auch heute noch in Hermannsburg verehrt.

Die Missionsstation Hermannsburg im Zentrum Australiens ist heute zu einem Symbol des würdevollen Übergangs der alten Traditionen der Ureinwohner in eine neue Zeit der Unabhängigkeit und Freiheit geworden. 1982 wurde die älteste Missionsstation Australien mit nahezu 4.000 Quadratkilometern von der Finke-Fluß-Mission den Arandas zu eigenständiger Selbstverwaltung übergeben. Hermannsburg ist heute als „Historic National Heritage" (Historisches Nationalerbe) für Besucher aus aller Welt geöffnet. Bei Apfelstrudel und Tee auf der Terrasse des alten Missionshauses werden die alten Mythen und Lieder der Arandas wieder lebendig, die Carl Strehlow für uns aufgeschrieben hat.

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Im Jahre 1922 wurde Carl Strehlow ernsthaft krank; er verließ unter großer Anteilnahme seiner Gemeinde am 10. Oktober 1922 Hermannsburg und starb bereits zehn Tage später bei Horseshoe Bend, ohne ärztliche Hilfe erfahren zu haben. Seine letzen zehn Tage auf dem Reiseweg entlang des Finke-Flusses wurden später von seinem Sohn Theodor Strehlow im Tagebuch von Horseshoe Bend (Journey to Horseshoe Bend) als erregende Geschichte dieses großen Missionars zusammengefasst. Das Taschenbuch wurde ein Klassiker der australischen Geschichte und gewann 1970 den Weickhardt-Preis als bestes Buch Australiens.

Carl Strehlows Freund, der Arzt Dr. Herbert Basedow, schrieb in einem Brief an das Frankfurter Völkerkunde-Museum: „So oft ich den Namen Carl Strehlow vernehme, denke ich beständig an die schönen Zeilen, die unseren Dichterkönig Goethe unsterblich gemacht haben: „Sein Leben war edel, und die Lebenselemente waren so in ihm gemischt, dass die Natur sich ergeben und der ganzen Welt sagen konnte: Dieser war ein Mann!"

carl-strehlow-07Im „Wüstentanz" wird diese einmalige Kultur Zenralaustraliens nochmals lebendig. Wir erfahren vom Ursprung des Himmels und der Erde, lernen den alten Aranda-Gott „Altjira" und sein himmlisches Paradies kennen, den Tanz der alten göttlichen Wüstenväter Karora, Malbanka und den Liebeszauber von Kulurba. Aber auch den Schöpfungstanz der Tiere und Elemente: Den Kult des großen Känguruhs, der Emus, Schlangen, Vögel und lernen die Kunst Regen zu machen. Wir freuen uns am Kinderparadies der Arandas, erleiden mit ihnen den schmerzhaften Weg durch die Initiation und erfahren, wie aus einem Jungen ein Mann wird. Ganz besonders ausgeklügelt waren die Sitten und Gebräuche einer Steinzeithochzeit, die Zeremonien von Geburt bis zum Tod, Begräbnis und die Auferstehung in die spirituelle Ewigkeit der alten Urväter und –mütter. Wir feiern mit den Ureinwohnern das Wuljankura-Fest, eine Art Walpurgisnacht und lernen auf der Jagd und beim Sammeln die Wüstennahrung kennen.

Nach Strehlows Tod haben die Politiker, Anthropologen und Sozialarbeiter jahrelang tatenlos zugesehen, wie die Ureinwohner und ihre Kultur langsam ausstarben. Innerhalb von wenigen Jahren ging die Einwohnerzahl von 5.000 auf weniger als 1.000 Arandas im Jahre 1932 zurück. Am liebsten hätte man sie in Reservate zusammengepfercht und sie mit dem Überflüssigen der Wohlstandsgesellschaft abgespeist. Die Anthropologen hätten so eine menschlichen Zoo, den sie jahrelang hätten beobachten können, um und über sie Doktorarbeiten zu schreiben.

Erst in jüngster Zeit wurde man sich des großen Wertes der zentralaustralischen Kultur bewusst. Die Aranda-Sprache lebt von einem reichen Vokabular, in dem die schwierigsten und logischsten Gedanken über Religiöses und soziale Aktivitäten präzise ausgedrückt werden. Bis ins letzte Detail ist das friedliche Nebeneinanderleben von ihnen großartig gemeistert worden, selbst Kindererziehung, Heiratsordnung und Landbesitz.

Davon abgesehen haben die australischen Ureinwohner auch sonst das Leben viel besser gemeistert als die meisten westlichen zivilisierten Nationen